Wenn Gestaltungsideen nicht auf Papier, sondern digital festgehalten werden, ist ein Digital Worker zugange. Als solchen bezeichnet sich Lutz Gebhardt gerne. Mit der legendären J-Linie gab der Designer 2004 seinen Einstand bei JURA. S8 heißt sein jüngster großer Wurf. Skalpellscharfe Linien und gespannte Fläche lassen schnell erahnen, wes Geistes Kind der neue Vollautomat ist. Doch neue Produkte entstehen nicht einfach über Nacht. »Design ist ein iterativer Prozess«, betont der Wahlschweizer, »ein sachtes Herantasten ans finale Resultat.«

Die Herbstsonne tüncht die Allee des Bata-Parks im schweizerischen Möhlin in ein güldenes Licht. Das Laub erweckt den Eindruck, als klammere es sich mit letzter Kraft an den Ästen fest, um unseren Fotografen mit einer attraktiven Kulisse zu Außenaufnahmen zu bewegen. Der Ästhetik trägt man in dieser 1923 im Stil des großen Le Corbusier fertiggestellten Überbauung querbeet Rechnung. Allen voran er: Designer Lutz Gebhardt, der unter dem Donnerhall seiner Buell heranbrettert. Vor dem Eckhaus parkt er die schwere Maschine. Hier, im Erdgeschoss, arbeitet er, eine Etage darüber befindet sich seine Wohnung. Wir betreten das Atelier, den Kreißsaal quasi, in dem die Form der neuen S8 geboren wurde. Es herrscht penible Ordnung. Im einen Raum verrichtet ein 3-D-Drucker unter rhythmischem Summen stoisch seine Arbeit. Das Geräusch paart sich mit dem Vogelgezwitscher von draußen zum musikalischen Leitthema des puren Idylls.

»Ich hasse Ineffizienz und wiederkehrende Arbeiten, die vermeidbar sind«

Im zweiten Raum strahlt ein Computer mit großzügigem Bildschirm mondäne Nüchternheit aus. Den Umgang mit CAD-Programmen lernte Lutz Gebhardt schon kurz nach seinem Studium in einem Praktikum bei einem PC-Giganten. Während er den Rechner eine schwere Datei öffnen lässt, erklärt der Digital Nerd seine Arbeitsweise: »Handskizzen mache ich keine. Ideen friere ich sofort digital ein. Und halte ich sie für brauchbar, werden sie dreidimensional ausgedruckt.« Der Perfektionist führt zwei Gründe für dieses Vorgehen ins Feld: »Ich hasse Ineffizienz und wiederkehrende Arbeiten, die vermeidbar sind. Während man bei Handzeichnungen immer wieder von vorn beginnt, lassen sich Änderungen am Computer mit einigen Klicks umsetzen. Und: Nur ein Objekt zum Anfassen lässt einen die Wirkung von Formen richtig erleben. Mit dem Modell kann man pröbeln, testen, verwerfen.« Die Affinität zum Handfesten dürfte genetisch bedingt sein. Lutz Gebhardt stammt aus einer Handwerkerfamilie. »Sogar meine Großmutter war Tischlerin«, erzählt er und schiebt schmunzelnd nach: »Sargtischlerin.« Vater Gebhardt war wenig davon angetan, als ihm sein Spross den Traum vom Architekturstudium offenbarte. »›Dafür geb’ ich dir kein Geld‹, begrub er kopfschüttelnd meine Ambitionen, worauf ich beschloss: ›Na schön, dann werd’ ich eben Designer.‹ Diesen Entscheid habe ich keine Sekunde bereut.« Die Hochschule in Darmstadt transformierte den eher auf Sparflamme köchelnden Frankfurter Abiturienten in einen glühend brodelnden, begeisterten Studenten. Im Design fand Gebhardt seine Passion.

 

Entspannung auf zwei Rädern

Die Liebe zum Zweirad wurzelt in seiner Jugend- und Studienzeit. »Ich wuchs am Ortsrand von Frankfurt am Main auf. Wenn ich in die Stadt wollte, war ich als Kind aufs Fahrrad angewiesen, später aufs Motorrad. Mein erstes befand sich achtundvierzig Stunden im Originalzustand, bevor ich es zerlegte. Nach dem Zusammenbau war es um einiges schneller. Seit dieser Zeit bin ich immer auf zwei Rädern unterwegs. – Naja, fast.« Der Verantwortung für seine beiden Jungs geschuldet, stieg er eine gewisse Zeit auf sicherere vier Räder um. Noch mehr als direkte Hin- genießt Gebhardt ausgedehnte Rück(um)­wege. Von Abkürzungen hält er wenig, viel mehr dafür von »Ablängerungen«. Besonders, wenn er loslassen will. »Beim Motorradfahren hast du keine Chance, dich auf etwas anderes zu konzentrieren. Probleme und Sorgen lässt du für die Dauer der Fahrt komplett hinter dir.« Motorisierte Meditation sozusagen.

Der Weg zum vollendeten Design

Auf einem Regal stehen Studien und Prototypen der neuen S8 von JURA. An ihnen erklärt er die wichtigsten Prinzipien seines Schaffens: »Die Aufgabe eines Designers besteht darin, das Briefing der Kunden in Formen zu übersetzen. Wenn man einen Ausdruck für ein technisches Gerät sucht, das eigentlich in einer Kiste gut verpackt ist, muss man daraus eine ›Power-Kiste‹ machen.« Subtile, nur unterbewusst wahrgenommene Elemente versehen ein Objekt mit bestimmten Attributen. »Es ist ein sachtes Herantasten an die ideale Produktphysionomie. Die Front der S8 ist muskulös. Man spürt die Kraft, vor der dieser tolle Vollautomat strotzt. Die flache obere Partie hingegen sendet Signale einer Präzision aus, die in den exakten, messerscharfen Linien der Ventiports ihre Vollendung findet. Diese Lüftungsschlitze, aus denen die Abwärme das Gerät verlässt, sind eine ideale Synthese von Funktion und Form. Ihre Präzision widerspiegelt exakt den Markenkern.«

Wer als Herr der Formen für JURA arbeitet, braucht die richtige Flughöhe. »Es gibt keinen Auftrag für nur ein Gerät. Es gilt immer, auf die gesamte Linie zu achten und darauf, wo sie im Marktumfeld positioniert ist. Die S-Linie soll ein neues Marktsegment schaffen. Ergo muss die erste Vertreterin dieser Produktreihe über die Gene einer ›Ikone‹ verfügen. Sie muss mit ihrer Anmutung eine Brücke zwischen Mittel- und Premiumklasse schlagen.« Er vergleicht das Produktportfolio mit einer Familie: »Eine Verwandtschaft zwischen den Linien muss klar erkennbar sein. Sie alle verbindet die Gleichartigkeit im Behandeln von Details, die Raffinesse, von Fugen und Flächen. Wir kreieren jedoch weder Klone noch eineiige Zwillinge, sondern Geschwister. Und innerhalb der Produktfamilie stellt sich die Frage: Ist ein Geschwister schlauer? Ist eines kräftiger? Wo und wie sehr sieht man ihm das an?«

Design als universelle, nonverbale Sprache

Die klare Strukturiertheit des Denkens hallt nach in der Formgebung. Der Designer beschreibt es so: »JURA macht Stil, nicht Mode. Die Produkte sind auf Dauerhaftigkeit ausgelegt. Die Gestaltung der S8 basiert darauf, dass ihre Gliederung, dass jede Fläche und jedes Detail gelesen und verstanden werden kann. Design ist eine universelle, nonverbale Sprache. Zwei Beispiele: Der Cappuccinoauslauf kommt als massiver Monoblock daher, der selbstbewusst sagt: ›Ich kann was!‹ … und das auch beweist. Oder der schwere, großzügige Deckel auf dem Bohnenbehälter verfügt über die Charakteristik einer massiven Tresortür, die das Aroma der Kaffeebohnen schützt und einschließt.« Seine blumige Sprache und die plastischen Bilder, die er damit zu formen versteht, erklären die Beliebtheit, die er als Dozent bei den Studierenden an der Basler Hochschule für Gestaltung und Kunst genießt.

Von der Idee zum fertigen Produkt

Dass der Weg zur fertigen Form der S8 durchaus auch mit Steinen gepflastert war, illustriert Gebhardt an einem zentralen Element, das ihn viel Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte kostete: »Eine der schwierigsten Aufgaben bestand in der Integration des Interfaces. Wie verbindet man die gerade Fläche eines Touch-Displays mit der kraftvoll gespannten, muskulösen Brust der Maschinenfront? Da geht es um Bruchteile von Millimetern, die darüber entscheiden, ob die Wölbung straff oder schlaff erscheint. Viele 3-D-Drucke waren notwendig, um die ideale Lösung zu finden. Letztendlich ist Design ein iterativer Prozess, an dessen Ende im Idealfall ein Produkt mit Wow-Effekt steht.« In diesem Kontext lobt Gebhardt das hervorragende Teamwork mit den verantwortlichen Stellen bei JURA. »Geschäftsleitung, Entwicklung und Marketing sind stets gewillt, die Grenzen des Machbaren auszuloten, um ein optimales Ergebnis zu erzielen.« Was im Entwicklungsprozess hilft, ist die langjährige Zusammenarbeit. Seit Lutz Gebhardt erstmals an einem Projekt für JURA arbeitete, lautet das gemeinsame Ziel, nicht nur schöne Produkte, sondern substanzielle Werte zu schaffen.

Ob er das Gefühl beschreiben kann, wenn er irgendwo auf der Welt JURA-Vollautomaten begegnet, deren Charakter er geformt hat? »Extreme Freude!«, kommt’s zurück wie ein Return Winner von Roger Federer. »Als es mich vor zwei Jahren auf meiner Schwedenreise eines Abends in eine Studentenbar verschlug und ich dort zwei XJ-Modelle auf dem Tresen stehen sah, hätte ich vor lauter Stolz am liebsten den ganzen Abend einen Kaffee nach dem anderen getrunken. Es war einfach nur schön.« Die kleine Geschichte illustriert Lutz Gebhardts Auffassung von der Bestimmung eines Designers vortrefflich. »Design soll die Welt genussvoller machen, einfacher, praktischer und komfortabler. Und weil das Verständnis von Genuss individuell ist, erschließt sich einem ein unerschöpfliches Tätigkeitsfeld.« Dem Begriff Genießen hafte, je nach Sprachregion, zuweilen leider etwas Dekadentes, Abwertendes an, ergänzt er. Deshalb bevorzuge er den englischen Begriff delightfulness. »Exakt das ist es, was die neue S8 ins Leben von Kaffeeliebhabern bringen soll: Köstlichkeit in allen Belangen.«


Fotos: Remo Buess